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»Ja man, das ist die Zukunft«, dachte ich mir bei der Anmeldung. Mit dem QR-Code aus meinem Apple-Wallet, der von dem iPad der Mitarbeiter gescannt wurde, erhielt ich mein Badge und Bändchen. Nice. Dann wollen wir mal sehen, was die digitale Zukunft so zu bieten hat. Die analoge Gegenwart hat am Morgen auf jeden Fall schon mal Kaffee zu bieten. Wichtig. Ich trinke meinen Kaffee und frage mich kurz, wie viele ich wohl trinken müsste, um den Ticketpreis wieder rauszuholen. Aber das ist nun erstmal egal. Ich hoffe ja schließlich auch auf unbezahlbare Erfahrungen und Denkanstöße zur digitalen Zukunft und zum diesjährigen Thema: Parallelwelten.
Ich setze mich in den Saal vom Schmidt’s Tivoli, wo die Eröffnung stattfindet. Nach einer kurzen Begrüßung durch die Veranstalter wird die Konferenz offiziell eröffnet und das Wort an die Speaker übergeben. Der erste Speaker, James Beacham, hat das Motto der Konferenz offensichtlich sehr ernst genommen. Er ist Physiker und spricht über die Grenzen des Universums, was danach kommt, wo es sich hinbewegt und wo es herkommt. Aber vor allem darüber, dass es ja auch nicht das einzige sein muss. In der Physik ist das Thema Parallelwelten ein sehr ernstes, wenn auch theoretisches. Theoretisch, weil wir ja schließlich weder aus unserem eigenen Universum herausschauen können, noch wissen wir, wo und ob überhaupt irgendwo ein Ende ist. »Es könnte etliche Paralleluniversen geben. In einem tragen Sie vielleicht gerade pinke Socken«, erklärt der belesene Herr auf der Bühne. »Naja, wenn es nur das ist«, denke ich mir. Aber dennoch, ich bin fasziniert von der Idee, der tatsächlichen Parallelwelten. Gibt es mich also unendliche Male an irgendeinem unerreichbaren und für uns ganz unvorstellbarem Ort?
Nach dem Vortrag gehe ich in das benachbarte Schmidt’s Theater, wo eine weitere Stage ist. Hier gehört die Stage nun DJ Spooky. Der Mann bringt bald ein Blockchain Album mit elektronischer Musik raus und hat nach einem Antarktisbesuch angefangen, klassische und elektronische Musik auf Basis von Klimamessungen und Eiskristallstrukturen zu komponieren und zu vermischen. Ich werde wohl auch in der Zukunft noch weiter Hip-Hop hören …
Es ist viel Bewegung im Saal zwischen den Speakern. Ich aber bleibe sitzen und genieße den Komfort der rot bepolsterten Theatersitze und die weiteren Beiträge. Jetzt will ich wissen, was die digitale Zukunft bringen wird.
Ein Speaker spricht über seine Erfahrungen mit Machine Learning in der Werbebranche. Er hat eine »Maschine« erfunden, die die Emotionen, die von Musik ausgehen, klassifiziert und somit für Werbespots einsetzen kann. Die künstliche Intelligenz dahinter soll unsere Gefühle mit Musik gezielt triggern und uns zu etwas bewegen. Kann also jetzt eine Maschine wissen oder auch steuern, wann ich mich wie fühle und das ausnutzen?
Der folgende Speaker wiederum ist Designer. Er spricht über den sogenannten Deep Fake und erklärt, was man alles künstlich erzeugen kann. Gesichter sind komplett zufällig erstellbar, sodass man Modells haben kann, die es schlicht nicht gibt. Bilder von Menschen die niemals lebendig waren. Man kann Landschaften, Dinge und eigentlich alles was man sehen kann, einfach synthetisieren. »Nichts ist so krass, dass wir uns nicht daran gewöhnen könnten«, sagt er zwischendurch mit Blick auf den rapiden Wandel unserer Zeit.
Kann ich mich wirklich an alles gewöhnen? Sind mir Dinge, die ich heute erschreckend finde, in 5 Jahren komplett egal, solange sie mein Computer oder meine Arbeit schneller machen? Er spricht von den weiteren Möglichkeiten. Das Personifizieren von den Modells, die es gar nicht gibt zum Beispiel. Sehe ich Mode bald nur noch an hübscheren Versionen von mir selbst? Kann alles auf mich angepasst werden? Was ist, wenn irgendwann ein Mann im Katalog genau so aussieht wie ich? Oder wie mein verstorbener Urgroßvater?
Ein von mir mit Spannung erwarteter Speaker ist James Bridle. Er spricht über die Risiken des Wandels, der digitalen Welt, der Algorithmen, die uns Empfehlungen aussprechen. Oder uns steuern. Oder in eine Blase führen und dort informativ gefangen halten. Wie oft wir gar nicht wissen, was mit uns passiert in der digitalen Welt und wie viel Vertrauen wir dennoch haben. Die Veränderung, die uns scheinbar nicht zu krass werden kann. An die wir uns gewöhnen, sehr stark. Er spricht von Death by GPS. Menschen, die ihrem Navi in ein Meer oder eine Klippe hinunter Folgen. Würde ich meinem Navi die Klippe runter folgen? Es scheint ja zu passieren. Würde es mein Busfahrer oder Pilot tun? Was ist aus gesundem Menschenverstand geworden? Ist diese Technik das Geilste überhaupt oder die Hölle auf Erden? Und bin ich noch fähig, das festzustellen? Keine Ahnung. Kann es ein Ole mit rosa Socken in einem anderen Universum noch wissen? Oder die Version von mir, die es nicht gibt, die aber Kleidung trägt, die den gleichen Stil hat, wie die, die ich neulich gekauft habe? Freue ich mich überhaupt noch auf die Zukunft? Hä!?
Ok. Ich habe richtig Reizüberflutung. Es ist inzwischen früher Nachmittag und ich habe mich gerade über 5 Stunden mit sehr tiefgründigen Fragen und Visionen auseinandergesetzt. Ich hole mir noch einen Kaffee. Uff. Schön Dank auch. »Schick bloß den Studenten zur Next Robert, ist richtig«, denke ich mir. Der Kaffee hält die Reizüberflutung kaum in Grenzen und ich beschließe, etwas zu essen. Im Copperhouse um die Ecke gibt es Verpflegung. Bei einer veganen Rice-Bowl fasse ich wieder klarere Gedanken. Ich beschließe, mir am Nachmittag ein Gespräch über das Banking der Zukunft anzuhören. Mit der beruhigenden Vorahnung, dass etwas so dermaßen Trockenes, auch in der digitalsten aller Zukünfte in jeglichen Universen noch den Hocker unter meinem Sitzfleisch lassen wird, gehe ich an den Hafen. Dort findet es statt, im gemütlichen Überquell. Ich behalte Recht. Immer noch überladen von Gedanken und Fragen fahre ich erstmal nach Hause.
Da die Next mit dem Reeperbahnfestival kooperiert, überlege ich, am Abend ein wenig Livemusik zu genießen. Ich bin wieder ruhig und denke, dass Musik ja auch immer gut ist. Immer eine schöne Zerstreuung, nach einem Tag, der meine Gehirnwindungen zum Teilchenbeschleuniger gemacht hat.
Als Liebhaber des Sprechgesangs beschließe ich, mir den Auftritt eines Rappers anzusehen. Der Künstler ist studierter Opernsänger und Doktor der Volkswirtschaftslehre. Nun ist er Aufsichtsratsvorsitzender bei einer Firma und rappt nebenher über die Sinnlosigkeit einer kapitalgedeckten Welt und die Leere des Lebens. Ich sollte echt schlafen gehen.
Nun, am zweiten Tag …
… bin ich wieder früh auf der Reeperbahn und trinke meinen Kaffee. Ich muss ein versöhnliches Ende finden heute. Ich beschließe, zwischen den Vorträgen auch mal Pausen zu machen und mich mit der Zukunft zu versöhnen. Irgendwie muss ich ja.
Aber auch das heutige Brainfood hat in der Tat wieder die Schwere eines Eisbeines mit Klößen in einer warmen Sommernacht. Aber ich versuche, cool zu bleiben.
Der Tag beginnt mit einer Einführung über das Quantum Computing. Das ist zwar ziemlich gewagt von mir in Anbetracht der Tatsache, dass ich mich auch mit normalen Computern nicht auskenne, aber das ist das schöne an der Next. Irgendwie schafft es jeder Speaker, jeden im Raum an einer teils hochkomplexen Thematik teilhaben zu lassen. Klar, ich kann jetzt weder einen Quantencomputer bauen, programmieren oder benutzen. Aber: Ich habe ein Verständnis dafür bekommen, was die wesentlichen Unterschiede zu einem normalen Computer sind, was die Möglichkeiten sind, die sich daraus ergeben und wie es mit der Technologie nun weitergehen könnte. Ich fühle mich grob im Bilde, obwohl ich vor einer halben Stunde eigentlich wirklich gar nichts über Quanten oder Computer wusste.
Die weiteren Speaker des Tages beschäftigen sich mit den nächsten Milliarden Menschen, die bald online gehen werden, mit der Entwicklung Afrikas, mit Innovationen, die dabei helfen und Denkmustern, die es vielleicht eher nicht tun. Der Tag verspricht also weiterhin interessant zu werden. Ich habe allerdings nun etwas Zeit und mir ja auch vorgenommen, ein paar Pausen zu machen.
Während ich noch meinen Quantensprung im Computing verarbeite, komme ich ins Gespräch. Ich unterhalte mich und ehe ich mich versehe, beginnt schon der nächste Vortrag. »Na gut, dann den noch, sonst wird die Pause ja auch zu lang und langweilig«, denke ich mir, während der Speaker schon sein Thema vorstellt. Er referiert über die Art und Weise, wie Kunst uns dabei helfen kann, AI und die Menschheit zu begreifen. Ich überlege kurz doch zu gehen, da ich mit Kunst nicht viel am Hut habe und ich gestern schon elektronisch-klassische Eiskristallstruktur-Musik gehört habe. Dann fällt mir ein, dass ich auch mit Quantencomputern nichts am Hut hatte und höre zu.
Während er über die Themen spricht, versuche die Fragen von gestern nicht in meinen Kopf zu lassen. Wieder geht es um Deep Fake, darum, wie die künstliche Intelligenz uns steuern könnte, uns etwas lebendiges zeigt, was nie lebte. Auch darum, wie es eben mit der künstlichen Intelligenz und der Kunst aussieht. Die AI braucht nur ausreichend Daten und kann dann von allem, was einem Muster folgt, eine neue Schöpfung hervorbringen. Nehmen wir Musik. Gibt man dem Computer genug Daten über klassische Musik, lernt er das Muster dahinter, die Regeln, denen die Musik folgt. Lotet die Grenzen der kompositorischen Freiräume aus und lernt die klaren Strukturen zu reproduzieren. Musik und Mathematik sind sowieso weniger verschieden als man es erst denken mag. Schon bald, kann man dann beliebig viele neue und einzigartige klassische Musikstücke erzeugen lassen. Schließlich hat die Intelligenz dann all die Daten, die es braucht. Das funktioniert auch anderswo, wie ich schon seit gestern weiß. Gesichter, Landschaften und Designs. Es ist zwar alles einzigartig, aber folgt ja doch einer Struktur. Mein Gesicht ist einzigartig, aber trotzdem folgt es der gleichen Struktur wie alle menschlichen Gesichter. Die AI muss nur lernen, was die Grenzen der festgelegten Strukturen sind und kann dann die Freiräume zufällig besetzen.
Es sei denn, ja es sei denn: Es gibt gar keine Strukturen. Es sei denn, etwas ist nicht den rationalsten Weg eingeschlagen. Hat nicht die Entscheidung getroffen, die alle Daten suggerieren. Eben wenn etwas aus der Reihe tanzt.
Der Speaker zeigt plötzlich Zeichnungen von Kindern. Ein buntes Gewirr mit exotischen Formen. Trotzdem weiß ich, was drauf zu sehen ist. Auch wenn das Haus vielleicht schief und orange-grün ist und die Tür leider nicht am Boden befindlich ist. Ja, es ist ein wirklich unpraktisches Haus. Und ja, es ist auch ein Bild, was eher nur Eltern schön finden, aber es ist eben ein Haus drauf und das kann ich erkennen. Die künstliche Intelligenz kann das nicht. Warum auch? Kein Haus sieht so aus. Es folgt keiner Struktur. Es macht eben einfach keinen Sinn so etwas zu malen, oder?
Die Reproduktionen von Kinderzeichnungen der AI sind schlicht bunt verpixelte Flächen. Keinerlei Struktur zu erkennen. Auch nicht für meine Augen. Ich bin fasziniert. Die gleiche Maschine, die mir absolut authentische Sonaten im Stile verschiedener Epochen und Komponisten synthetisieren könnte, kann kein schlechtes Bild malen.
»Wir können diese Maschinen also schlagen, aber scheinen auf dem Weg zum Erwachsenwerden zu vergessen wie«, sagt der Speaker. Und ich glaube, er hat recht. Ich glaube, es war genau richtig, hier sitzen zu bleiben und es hat mir bei meiner Versöhnung mit der Zukunft sehr geholfen. Das werde ich mir von dieser Konferenz mitnehmen. Ich und wir alle bei skvint leisten kreative Arbeit mit einer ganz normalen menschlichen Intelligenz. Diese möchte ich nutzen, mit ihrer einzigartigen Fähigkeit irrationale Dinge zu tun. Ich kann doch immer entgegen aller Wahrscheinlichkeiten einfach irgendetwas tun. Ich kann falsche Farben, falsche Sätze, falsche Wege, falsche Physik und sonstige bisher unsinnige Strukturen in meiner Kreativität zu genau dem Richtigen machen. Das macht dann zwar nicht unbedingt den meisten Sinn, aber es macht doch auch nicht gar keinen Sinn oder? Für mich fängt dieser Gedanke schon bei einem Umweg durch den Park an. Oder eben bei kleinen Finken, die als Astronaut verkleidet sind. Das macht wirklich gar keinen Sinn, aber ich finde sie wirklich niedlich. Das kreative Ausbrechen aus vorhandenen Strukturen, ist unserem menschlichen Verstand möglich und er kann so komplett Neues schaffen. Nicht nur Neues innerhalb einer Struktur, wie eine weitere Sonate. Nein, nur unser Verstand, der irgendwann aus Strukturen ausbricht, kann aus einer Sonate Punkrock werden lassen mit der Zeit. Das finde ich sehr beruhigend und ich möchte es mir gern für meine weitere Arbeit bewahren.
Die restlichen Speaker des Tages sind auch noch sehr interessant und ich sehe die Vorträge über die digitale Zukunft nun etwas gelassener. Ich muss ja nicht besser sein als die Maschinen. Ich sollte mir bloß darüber im Klaren sein, was die Maschine besser kann und was ich besser kann. Und was man dann am besten aus dem Zusammenleben macht.
Meine vegane Nudel-Bowl am Mittag wird optimistischer verzehrt als der gestrige Reis. Ich beschließe, heute Abend nicht zu der Veranstaltung zu gehen, in der es um die Klimaschäden der Digitalisierung und des Internets allgemein geht. Man muss seinen frisch gewonnenen Zukunftsoptimismus ja auch nicht gleich wieder aufs Spiel setzen.
Fazit
In diesem Sinne gingen zwei sehr interessante und aufschlussreiche Tage auf der Next zu Ende. Ich bin froh, dass ich dabei sein konnte und bin der Meinung, dass es sich auf jeden Fall gelohnt hat. Abgesehen von wirklich guter Verpflegung, einem reibungslosem Ablauf und gut abgestimmten Locations, habe ich wirklich Neues gelernt. Ich habe einen ganz neuen Überblick über viele Themen bekommen und etwas für mich persönlich mitnehmen können. Nämlich immer schön quer zu denken und auch mal was vermeintlich bescheuertes zu tun. Ich glaube, es hilft.